Vorbemerkung:

Verwandtschaft

Man kann aus allem, aus jeder Situation, jeder Position, aus jedem Verhältnis „aussteigen“, kann sagen: „Das will ich nicht mehr, damit habe ich nichts zu tun, davon löse ich mich.“ Nur aus einer Bindung, aus einer Verstrickung geht das nicht – aus Verwandtschaft! Sag hundertmal: „Du bist nicht mehr meine Mutter, meine Tochter, mein Sohn, mein – Vater!“. Sag es, und du bleibst doch, was du warst und was du bist. Auch wenn du es nicht ehr sein willst, umsonst – da kommst du nicht heraus.[1]

Kinder- und Menschenrechte

Der Väteraufbruch für Kinder e.V. tritt für die Rechte der Kinder ein. Wir begrüßen es deshalb, dass zumindest für einen Teil der betroffenen Kinder mit dem „Gesetz zur Regelung des Rechtes auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer  Verwendung des Samens“ der Artikel 8 der UN-Kinderrechtskonvention realisiert wird.

Artikel 8

(1)  Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.

(2)  Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Ein Abstammungsrecht für alle Kinder

Die UN-Kinderrechtskonvention sieht nicht vor, dass nur Teilgruppen von Kindern (im Falle dieses Gesetzes nur die durch die Einrichtungen der Reproduktionsmedizin gezeugten Kinder) das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben. Die Bundesregierung hat deshalb die Pflicht auf gesetzlicher Grundlage die Kenntnis der Abstammung auch für diejenigen Kinder zu regeln, die außerhalb der reproduktionsmedizinischen Einrichtungen durch die Verwendung heterologen Samens entstanden sind. Bis auf wenige denkbare Ausnahmefälle dürfte die Mutter eines Kindes wissen, von welchem Mann der Samen – bei einem nicht reproduktionsmedizinischen Verfahren - zur Zeugung ihres Kindes stammt. Darüber hinaus ist es gentechnisch mit geringem Aufwand möglich, die Abstammung eines Kindes eindeutig zu klären.

Vaterschaft und Familie aus der Perspektive des Kindes

Aus der Perspektive des Kindes handelt es sich bei der Zeugung durch heterologe Samenspende um einen Vorgang („Vertrag“) zu Lasten Dritter, nämlich des Kindes. Zwar haben alle Kinder das Problem, dass sie keinen Einfluss auf ihre Entstehung haben; der weit überwiegende Teil der Kinder wird aber von liebenden Eltern auf natürliche und kulturell gesicherte Weise auf die Welt gebracht und hat mit der Art ihrer Entstehung keine weiteren Probleme (kennt seine Eltern und die weiteren Verwandten, wächst in der Familie auf und erfährt aus der Familie Zuwendung und Unterstützung).

„Ein Fremdheitsgefühl war immer da. (Anja, 25 – über die Gefühle zu ihrem soziale Vater …)
Ein Gespenst in um. Eine Silhouette ohne Gesicht. (Anja, 35 – über den unbekannten Spender)
„Hier gehöre ich nicht hin.“ (Julie, 32 – über ihre Gefühle als Kind im Elternhaus)

Diese wenigen Äußerungen aus dem Buch Spenderkinder[2] von Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl zeigen mit welche Probleme ihrer Abstammung und ihrer Biographie die durch heterologe Samenspende entstandenen Kinder in ihrem Leben zu verarbeiten haben. Zu klären wäre hier also, ob im Rahmen des SGB VIII; KJHG für diese Kinder und ihre Familien – über den allgemeinen Beratungs- und Hilfeanspruch hinaus - ein spezieller Beratungs- und Unterstützungsanspruch bereitgestellt werden muss.

Fraglich ist auch, ob die bisher geleistete Beratung vor einem reproduktionsmedizinischen Eingriff ausreicht und von den richtigen Stellen geleistet wird.

Wir halten die in den §§ 2 bis 5 vorgesehene Informations- und Beratungspflicht im Entwurf für nicht ausreichend, um betroffene Paare bei ihrer Entscheidung zur Zeugung durch heterologe Samenspende zu unterstützen.

Widersprüchliche Vaterschaft – konkurrierende Gesetze

Während – vom allem bei familienrechtlichen Streitigkeiten um die Sorgepflicht, den Umgang und die Zahlung des Unterhalts – zur Feststellung der Vaterschaft die genetische Abstammung eines Kindes zur Bestimmung des Vaters herangezogen wird, schließt der vorliegende Gesetzesentwurf den genetischen Vater des Kindes als „rechtlichen Vater“ aus!

Genetisch betrachtet handelt es sich bei der heterologen Samenspende um die Entstehung einer Familie mit „alleinerziehender Mutter“ und einem Stiefvater (hier sozialer Vater genannt).

Der Ausschluss des genetischen Vaters von der rechtlichen Vaterschaft (durch Änderung des § 1600d BGB) ist insoweit problematisch als u.E. ungeklärt ist, wie zu entscheiden ist, wenn das Kind zu einem späteren Zeitpunkt die Feststellung der Vaterschaft beantragt und dies vom EuGH geklärt haben will.

Im Juni 2013 trat das „Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters“ in Kraft. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass, falls die Regelung des Entwurfs in Kraft tritt, hier erneut Regelungsbedarf entstehen wird.

Entwürdigende Sichtweise

Es entsteht der Eindruck das den Verfasser/innen des Entwurfs die humanitäre und soziale Dimension der notwendigen Regelung nicht bewusst ist, wenn sie schon im ersten Absatz der Problembeschreibung die Verpflanzung einer Niere mit der Samenspende vergleichen und feststellen, dass das Transplantationsgesetz (TPG-GewV) zur Regelung nicht ausreiche.

U.E. sind beide Tatbestände nicht deshalb nicht vergleichbar, da durch die Samenspende ein neuer Mensch mit eigener familiärer Biographie und eigenen Rechten und Pflichte entsteht.

Sinnvoll wäre deshalb zunächst auch die Absätze 1 und 2 im § 1 Samenspenderregister zu tauschen und zunächst auf das Recht der Kenntnis der Abstammung hinzuweisen, da die Einrichtung des Registers lediglich eine technische Möglichkeit der Sicherstellung dieses Rechts ist.

Aufklärungsanspruch des Kinders sichern

Psychotherapeuten wissen seit langem, dass nichts wirksamer ein Familienleben und die Entwicklung eines Menschen beeinflusst wie ein Familiengeheimnis, ein Tabu, dass im verborgenen wirkt, ohne dass die Betroffenen einen Einfluss auf die Lösung der damit verbundenen Probleme haben. Es gehört sicher zu den stärksten Kränkungen eines Menschen, wenn diejenigen die einst dafür gesorgt haben, dass man auf der Welt ist, sich aus ihrer Verantwortung stehlen.

Damit man überhaupt der Frage nach der eigenen Abstammung nachgehen kann, braucht man die Information über die Umstände. In der Regel wird in Familien mit guten Beziehungen darüber ab einem bestimmten Alter zwischen Eltern und Kinder darüber gesprochen. Eltern erzählen ihren Kindern gerne, wie sie Schwangerschaft und Geburt erlebt haben; oft auch dann, wenn sie mit besonderen Anstrengungen und ungünstigen Umständen verbunden waren.

Damit das Kind sicher und unabhängig von seinen „rechtlichen“ Eltern von seiner Abstammung durch heterologe Samenspende erfährt ist es u.E. notwendig, dass dies in der Geburtsurkunde vermerkt wird. Bei Trennung und Scheidung der rechtlichen Eltern könnte dies der einzige Weg sein, über den das Kind von der Art seiner Entstehung erfährt.

Begleitforschung – Genetische und epigenetische Einflüsse auf das Familienleben und die Identität eins Kindes

Abgesehen von Erbkrankheiten hat unsere genetische Disposition einen wesentlichen Einfluss auf unsere Entwicklung und unsere Identität. Modelliert wird dies durch epigenetische Einflüsse während unserer Entwicklung und durch unsere späteren Lebensumstände.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass - ähnlich wie bei Kindern die früh in eine Pflege- bzw. Adoptionsfamilie kamen – Kinder aus einer heterologen Samenspende sich mit besonderen Fragestellung bei der Entwicklung ihrer Identität auseinandersetzen müssen.

Neben medizinischen Fragestellungen (u.a. von epigenetischen Einflüssen auf die Entwicklung über mehrere Generationen) müssen deshalb vor allem die Auswirkungen der heterologen Samenspende auf die Entwicklung der Familie und der durch sie entstandenen Kinder erforscht werden. Konzepte zur Information und Beratung betroffener Familien und Kinder sind zu entwickeln.

Für Familien und Kinder ist weiterhin die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Besonderheit ebenso wie ihre Inklusion in gesellschaftlichen Einrichtungen (vor allem in Krippen, Kindertagsbetreuung und Schule) ein Thema sozialwissenschaftlicher Begleitung.

Einheitliches Familien- und Abstammungsrecht auf europäischer Ebene

Binationale Familien, Familien nach Trennung und Scheidung, Pflegefamilien, Adoptionsfamilien, Regenbogenfamilien, die Vielfalt familiärer Konstellationen und das Zusammenleben über Grenzen erfordert zukünftig ein einheitliches Familienrecht auf europäischer Ebene, ein Familienrecht auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention und der bisherigen Entscheidungen des EuGH.

Übergangsvorschriften

In bisherigen reproduktionsmedizinischen Verfahren erhobene Daten dürfen nicht mehr vernichtet werden und sind den Kindern, die ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben, bei entsprechendem Nachweis zur Verfügung zu stellen.


Fazit:

Zu allen Zeiten kamen Kinder nach heterologer Samenspende (sowohl über die Reproduktionsmedizin wie auch durch „Verabredungen zwischen der Mutter und dem genetischen Vater“ zur Welt. Dies wird auch zukünftig der Fall sein.

Es ist dringend geboten in einem „Gesetz zur Sicherung des Kindesrechtes auf Kenntnis seiner Abstammung“ in Verbindung mit seinem Recht aus der UN-Kinderrechtskonvention auf ein Aufwachsen bei seinen Eltern die Kinderrechte zu sichern.

Der vorliegende Gesetzesentwurf verbessert zwar die Rechte der mit heterologer Samenspende durch Reproduktionsmedizin entstanden Kinder; löst aber das Problem der Kinder nur teilweise. Deshalb bedarf der Entwurf der Überarbeitung und Ergänzung.


[1]   Ralph Giordano – Vorwort in: Niclas Frank; Der Vater – eine Abrechnung; München 1993; S. 5
[2]   Walfgang Oelsner; Gerd Lehmkuhl: Spenderkinder – Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen. Munderfing 2016; S. 237ff. 

 

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